- Rückblick auf das Jahr 2019
- Beratungsalltag und Top-Themen in Corona-Zeiten
- Verlängerung des Corona-Hilfspakets für Verbraucher notwendig
Airlines, die bei Verspätungen Reisenden systematisch die zustehenden Entschädigungen verweigerten. Energieversorger, die Kunden mit unzulässigen Preiserhöhungen überrumpelten. Telefonshops, die Handy-Verträge gleich im Dutzend unterschoben. Die Verbraucherzentrale NRW war 2019 bei mehr als 335.000 Verbraucheranliegen eine gefragte Anlaufstelle, um Verbraucherrechte durchzusetzen. In rund 119.000 Beratungen haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 61 Beratungsstellen der Verbraucherzentrale NRW persönlich und erfolgreich für die Ratsuchenden vor Ort eingesetzt. 260.000 Teilnehmende bei Veranstaltungen, über 100.000 verkaufte Ratgeber und über 22 Millionen Besuche im Internet – so die wichtigsten Zahlen aus der Arbeit in 2019.
Anlässlich der Vorstellung des Jahresberichtes 2019 nennt Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW, die Highlights des Verbraucherjahres 2019, beschreibt die Herausforderungen für Verbraucherschützer in Corona-Zeiten und wagt einen Blick in die Zukunft.
Neben den eindrucksvollen Beratungszahlen – was waren aus Ihrer Sicht die thematischen Highlights in 2019?
„Das war zum einen sicher der Sieg gegen Facebook vor dem Europäischen Gerichtshof zugunsten eines stärkeren Datenschutzes. Aufgrund unserer Klage darf der „Gefällt-mir-Button“ von Facebook, der viele Daten an das soziale Netzwerk schickt, seitdem von Unternehmen nur eingebunden werden, wenn Verbraucher dem aktiv zustimmen. Mehrfach sind wir auch mit juristischen Mitteln gegen Airlines vorgegangen, die Ansprüche bei Verspätung und Annullierung ihrer Flüge nur bearbeiten wollten, wenn Kunden dafür ein firmeneigenes Kontaktformular verwenden. Eine Aktion für Verbraucherrechte, die direkt aus der erfolgreichen Einführung unserer Flugärger-App resultierte. Das Tool lotst Reisende unkompliziert zur direkten Prüfung von Entschädigungsansprüchen, zu sinnvollen Hintergrundinfos oder passgenauen Musterbriefen – was sich gerade auch in Corona-Zeiten bewährt. Bislang rund 55.000 Downloads zeigen, dass die App insgesamt ein hilfreiches Instrument für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist.“
Corona hat den Alltag aller auf den Kopf gestellt. Wie haben Sie in der Zeit der strikten Kontaktsperre die Verbraucherberatung vor Ort sichergestellt?
„Als klar wurde, dass wir in den Beratungsstellen aus Sicherheitsgründen keinen Publikumsverkehr mehr zulassen können, haben wir unser Angebot keineswegs in Quarantäne geschickt, sondern entsprechend um- und ausgebaut. Auf der Homepage bietet die Verbraucherzentrale seitdem umfassende, ständig aktualisierte Informationen zu Fragestellungen rund um Corona an, wir haben eine Corona-Hotline eingerichtet und so eine bessere Erreichbarkeit über Telefon und per E-Mail geschaffen. Alleine bei unserer Corona-Hotline gingen bislang über 13.000 Anrufe ein, das Service-Center erhielt rund 13.000 Mails und die Corona-Seiten im Internet verzeichneten gut 3,1 Millionen Besuche. Hinzu kommen digitale Angebote wie Videoberatungen, die Podcast-Reihe “VZ-Hörbar”, Bildungsangebote zum Download und der Aufbau von Web-Seminaren. Auch unsere 61 Beratungsstellen haben weiterhin telefonisch und per Mail beraten und standen so stets an der Seite von Verbraucherinnen und Verbrauchern.“
Seit dieser Woche werden in NRW unter Einhaltung von Hygienevorschriften für viele Bereiche die Beschränkungen gelockert. Gilt das auch für das Angebot der Verbraucherzentrale NRW in den Beratungsstellen?
„Ja, auch wir werden ab dem 18. Mai wieder schrittweise in den Beratungsstellen Termine für die persönliche Beratung vereinbaren. Unsere Konzepte stellen sicher, dass dabei ein höchstmöglicher Gesundheitsschutz für Ratsuchende und Mitarbeiter gegeben ist. Bis auf weiteres wird eine persönliche Beratung aber nur gegen vorherige Terminvergabe möglich sein. Dass die Beratungsstellen sukzessive die persönliche Beratung – unter strikter Einhaltung der Hygienevorgaben – wieder aufnehmen, ist ein wichtiger Schritt hin zu ‚vorsichtigem Verbraucheralltag‘. Insbesondere Ratsuchende, die während der Kontaktverbote mit den telefonischen und Onlineangeboten nicht gut zurechtgekommen sind – sei es, weil sie ihre Anliegen wegen fehlender Sprachkenntnisse nicht schriftlich formulieren konnten, Hilfestellung beim Zusammenstellen notwendiger Vertragsunterlagen brauchten oder nicht über die technische Ausstattung zum Scannen oder Mailen verfügten, warten dringend auf die persönliche Beratung und Unterstützung bei ihren Verbraucherproblemen. Den digitalen Anschub, den unser Austausch mit den Verbrauchern durch die Corona-Bedingungen nun erhalten hat, werden wir aber auf jeden Fall als Rückenwind nutzen. Konkret heißt das, dass wir unser Angebot an Web-Seminaren, Video-Beratungen und Hilfestellung über Homepage, Mail und Telefon weiter ausbauen werden.“
Was sind die Top-Themen, die den Verbrauchern derzeit auf den Nägeln brennen?
„Ein Großteil der Anfragen dreht sich um den Themenbereich Reise und Urlaub, gefolgt von Fragen zu den Rechten bei ausgefallenen Veranstaltungen oder zum so genannten Corona-Hilfspaket. Da ist zum Beispiel der Kurzarbeiter, dem das Wasser plötzlich bis zum Hals steht und der dringend die Rückerstattung für die stornierte Pauschalreise benötigt, um seine aktuellen Rechnungen bezahlen zu können. Oder das junge Paar, das Anfang Mai geheiratet hat und eigentlich ein rauschendes Fest inklusive Übernachtung der Gäste in einem Hotel gebucht hatte. Der vom Hotelier nun angebotene Gutschein für 2021 macht in einem solchen Fall natürlich keinen Sinn. Und die selbständige Mutter, die wegen massiver Einnahmenausfälle das Corona-Hilfspaket nutzt und die Kreditraten für ihr Haus aussetzen möchte, fragt sich, ob die Bank berechtigt ist, dennoch Zinszahlungen für die Verlängerung der Kreditdauer zu berechnen. Die Fallbeispiele aus dem Beratungsalltag zeigen, wie groß die Verunsicherung und auch die finanzielle Not der Menschen sind, die sich hilfesuchend an uns wenden. Ihnen allen bieten wir juristische Unterstützung, Informationen und Orientierung in dieser ungewöhnlichen Zeit.“
In welchen Bereichen sehen Sie aufgrund der Corona-Pandemie in den kommenden Monaten weitere Probleme auf die Verbraucher zukommen?
„Ein Thema, das uns sicher weiterhin begleiten wird, ist die bereits angesprochene Gutscheinlösung, die nicht nur geltendem Verbraucherrecht widerspricht, sondern auch wegen des so genannten ‚Rückwirkungsverbots‘ für Gesetze verfassungsrechtlich höchst bedenklich ist. Nachdem Brüssel den von der Bundesregierung geplanten Zwangsgutscheinen bei ausgefallenen Reisen einen Riegel vorgeschoben hat, ist nun ein weiteres klares Signal nötig. Auch die Überlegungen zum Gutscheinzwang für ausgefallene Veranstaltungen müssen vom Tisch. Die Liquiditätsprobleme von Reiseveranstaltern, Airlines oder Konzertveranstaltern dürfen nicht auf dem Rücken von Verbrauchern gelöst werden.
Ein massives Problem wird außerdem vor allem dort entstehen, wo der bisherige Verbraucheralltag trotz der Lockerungen nicht von heute auf morgen wieder hergestellt werden kann. Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust, der weggefallene Minijob – in vielen Haushalten sind die Budgets jetzt auf Kante genäht. Auch wenn die Zahlung von Kreditraten, Versicherungsprämien oder Miete ausgesetzt werden konnte – das dicke Ende droht, wenn ab dem 1. Juli der Alltag bei den Ausgaben wieder einkehrt, aber die Einnahmen noch nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht haben. Deshalb fordern wir den Gesetzgeber dringend auf, die Möglichkeiten zum Zahlungsaufschub für zunächst mindestens drei Monate zu verlängern.“
Den Jahresbericht 2019 gibt’s zum Download unter:
www.verbraucherzentrale.nrw/jahresbericht2019